Duftende Gräser aus Nichts,
Sacht sich wiegend im Leeren,
Dort, wo es Windhauch nicht gibt, wohin
Stürme des Daseins nicht reichen,
Drüben, am ‚anderen Ufer‘, das
Dunkles Gewölk nicht kennt, nicht
Grollen des Donners, nur
Stille und Licht –
Duft über Grasland,
Sanftes Versprechen,
Das vollkommenen Frühlings,
Der doch nur hier sich erfüllt,
Mitten in Leib und Leben.
Geht in die Berge hinaus,
Dieser Meister Chang-sha, jagt
Dann aber fallenden Blüten nach,
Kehrt so voll Lust in das Erden-
Dasein zurück, seine Flüchtigkeit
Lebens und Sterbens, setzt sich
Heftigem Tadel aus,
Unstatthaft sei
Diesseits-Verliebtheit.
Glänzend pariert er
Solchen Ruf zur Askese:
Wo, wenn nicht hier, lebt das Glück
Angstfreier Daseinsfreude.
Dank sei dem alten Chang-sha,
Dass er den Mut uns bestärkt,
Rückhaltlos zu bekennen:
Nicht aus Leben und Welt die Flucht
Macht den Sinn des Zazen,
Dieser Übung ins Sterben:
Hast du einmal gelernt, dein
Ich ans Nichts zu verlieren,
Hast die Leere erkannt
Als deinen wahren Leib,
Ungeworden und nicht
Von Zerstörung bedroht,
Stehst du und gehst
Heiter im Sonnenlicht – und
Wär’ es die „Sonne Satans“.
(2004)
Dieses Gedicht spricht unumwunden von einer Shûnyatâ, in der nichts mehr enthalten und die dennoch oder gerade deswegen von Stille und Licht erfüllt ist. Das lyrische Subjekt erfährt sie als seinen 'wahren Leib' (eine Anspielung auf den Dharmakâya als den 'Wahrheitsleib' Buddhas), in dem es als 'ungeworden' auch dann verwurzelt ist, wenn es sich heiter im Sonnenlcht ergeht.
Das Kôan 36 Bi-yan-lu berichtet folgende Begebenheit aus dem Leben des Chang-sha Jing-cen (gest. 868): Der Meister erging sich eines Tages in den Bergen. Als er zum Klostertor zurückkam, fragte ihn der Mönch vom Ehrensitz: ‚Ehrwürden, wohin seid Ihr unterwegs gewesen?‘ Chang-sha erwiderte: ‚Ich habe mich in den Bergen ergangen‘, was den Mönch vom Ehrensitz zu der weiteren Frage veranlasste: ‚Und bis wohin seid Ihr gekommen?‘ Chang-sha gab ihm zu Antwort: ‚Anfangs bin ich dem duftenden Gras bergauf gefolgt; dann aber bin ich dem Fall der Blütenblätter nachgelaufen und so hierher zurückgekehrt.‘ Der Mönch vom Ehrensitz erklärte daraufhin mit unüberhörbar tadelndem Unterton: ‚Das hört sich ja wie ein Hauch von Frühling an!‘ Doch Chang-sha hielt ihm entgegen: ‚Das ist ja auch besser, als wenn im Herbst der Tau von welken Lotosblättern tropft!‘ – Und Xue-dou Zhong-xian, der die hundert Beispiele des Bi-yan-lu zusammengestellt hat, bemerkt in aller Deutlichkeit dazu: ‚Dieses Wort verdient nur eine Antwort: Dankbarkeit!‘
George Bernanos, in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in katholischen Kreisen ein angesehener Autor, dessen Werk sogar zur Schullektüre erhoben wurde, hat für einen seiner Romane den Titel Sous le Soleil du Satan gewählt: Die irdische, die ‚sündige‘ – oder auch ‚karmische‘ – Welt mit ihren Leidenschaften und Gebrechlichkeiten, ihren Süchten und Heimsuchungen als eine Welt „unter der Sonne Satans“.